Megan Brandow-Faller

Der Kult um die kindliche Kreativität – also die Annahme, dass alle Kinder eine inhärente Kreativität und damit einen einzigartigen Zugang zu imaginativen und expressiven Fähigkeiten besitzen –, der sich in den Vereinigten Staaten der Nachkriegszeit zu etablieren begann, bleibt auch in der zeitgenössischen US-amerikanischen Gesellschaft allgegenwärtig. Das lässt sich an den Lehrplänen der Grundschulen und Vorschulen, einer weit verbreiteten „do-it-yourself“-Kultur künstlerischer Betätigung zuhause sowie einer milliardenschweren Kunstbedarfs-Industrie beobachten. Aber trotz ihrer Wichtigkeit für das politische Bewusstsein der Nachkriegs-USA werden diese Diskurse über die kindliche Kreativität selten auf ihre intellektuelle Herkunft in der Wiener Sezession zurückgeführt. Zweybrück, die bis nach dem „Anschluss“ in Wien lebte, genoss den internationalen Ruf einer Koryphäe auf dem Gebiet einer Kunsterziehung, die mit den liberalen Methoden des freien Ausdrucks von Klimt-Gruppen-Mitglied Franz Čižek in Verbindung stand (mit dem sie gemeinsam studiert hatte und ausgebildet worden war). Sie veröffentlichte zahlreiche Publikationen zum zeitgenössischen Kunstgewerbe, leitete eigene, auf Stoffmuster, Stickerei, Spielzeug und Buchillustrationen spezialisierte Werkstätten und unterrichtete ab 1915 in ihrer fortschrittlichen Kunstgewerblichen Privatlehranstalt selbst junge Frauen. In der Kunstgewerblichen Privatlehranstalt wurde ein an die „Naive Kunst“ angelehnter Stil entwickelt, der von Volkskunst und Kinderzeichnungen inspiriert war. Ihre Bekanntheit bei US-amerikanischen Besucher*innen führte dazu, dass sie sich in den 1930er-Jahren mehrmals auf Vortrags- und Seminarreisen durch die USA begab. Publikationen wie The Stencil Book (1935) und Hands at Work (1942) inspirierten Pädagog*innen die kreativen Energien, die in jedem Kind steckten, freizusetzen. Zweybrücks Ideen verbreiteten sich auch durch ihre Arbeit als künstlerische Leiterin der American Crayon Company und Herausgeberin der mit dem Unternehmen verbundenen Zeitschrift Everyday Art. Ihr Ansehen als Kunstgewerblerin, Gestalterin und Kunstpädagogin war so groß, dass sie im Sommer 1955 in einer retrospektiven, durch ihren engen Vertrauten Josef Hoffman kuratierten, Ausstellung im Museum Wiener Secession geehrt wurde.

Retrospektive Emmy Zweybrück-Prochaska, Wiener Secession, Einladung zur Eröffnung, 4. Juni 1955. Archiv der Österreichischen Galerie Belvedere, Nachlass Hans Ankwicz-Kleehoven © Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Österreich.

Zweybrück wird oft mit männlichen Berühmtheiten wie Čižek verglichen, war aber komplett einzigartig in ihrer Art, kindliche Kreativität und innovative moderne Gestaltung zu vermarkten und zu kommerzialisieren. Sie verfasste detailreiche, mit subtilen Produktplatzierungen durchzogene Schritt-für-Schritt-Anleitungen für kunsthandwerkliche Projekte („Benutzen Sie nur das ‚E-Z Cut Transparent Stencil Paper‘“ usw.), die Amateur-Kunstgewerblerinnen dazu anregen sollten, ihre eigenen Tischtücher, Wandbehänge, Grußkarten und Drucke anzufertigen. Leser*innen wurden mit Überschriften wie YOU CAN DO CROSS-STITCH EMBROIDERY oder STENCILING IS EASY TO DO begrüßt. Diese Kombination aus Anleitungsprosa und Produktpalette wirft die Frage auf, ob die Amateur-Kunstgewerblerinnen Zweybrücks komplexe Projekte wirklich angehen wollten, oder ob es ihnen nicht eher darum ging, eine Fiktion von der Perfektionierung des eigenen Ichs zu leben, ähnlich wie es Kritiker*innen am Hype um die US-amerikanische Lifestyle-Unternehmerin Martha Stewart beobachtet haben.

 

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Zweybrücks Erfolg in den USA der Nachkriegszeit besitzt seine Wurzeln im Wien der Zwischenkriegszeit, das vielen Zeitgenossen*innen als Mekka der fortschrittlichen Kunstpädagogik galt. Scharen von Kunstpädagog*innen, Kunstkritiker*innen und Künstler*innen aus Großbritannien und den USA pilgerten in die Stadt, um die innovativen Methoden von Franz Čižek, Emmy Zweybrück und anderen aus erster Hand mitzuerleben; in den frühen 1920er-Jahren besaßen sie eine herausragende internationale Bekanntheit und boten spezielle Kurse für Kunstlehrer*innen an. Čižeks Einfluss im angloamerikanischen Raum stützte sich sowohl auf die 1927 erschienene englische Übersetzung seines Handbuchs über Papier-, Schneide- und Klebearbeiten (das bereits 1914 auf Deutsch erschienen war), als auch auf die Wanderausstellungen der Kunstklassen (zuerst im Metropolitan Museum of Art in New York im Dezember 1923 und dann später in Brooklyn, Baltimore, Washington, Chicago, Los Angeles und San Francisco). Die Ausstellung war zuvor bereits durch Großbritannien getourt, mit der Wanderausstellung in den USA erlangte er aber schlagartig große internationale Bekanntheit. Das ging so weit, dass er sich später an eine US-amerikanische „Völkerwanderung“ erinnerte und daran, wie die Zahl der Besucher*innen aus den USA die der regulären Studierenden bei weitem überstieg, manchmal im Verhältnis 3 zu 1.[1]

 

Čižeks Faszination mit dem ungebändigten, spontanen Ausdruck von Kinderzeichnungen lässt sich auf seine eigene Jugend zurückführen, in der er die ersten Zeichenversuche seiner dreijährigen Schwester beobachtete. Als Sohn eines Zeichenlehrers an einer Mittelschule im böhmischen Leitmeritz geboren, zog er 1885 nach Wien, um dort Malerei an der angesehenen Akademie der Bildenden Künste zu studieren und mietete sich dafür bei einem Tischler unter. In seinen Räumlichkeiten, in denen hervorragende Lichtverhältnisse herrschten, richtete sich der junge Akademieschüler ein behelfsmäßiges Studio ein, das von einer riesigen, zuvor für Kavallerie-Reitübungen genutzten Holzplatte dominiert wurde. Da der Unterricht an der Akademie nur morgens stattfand, fanden sich in den Nachmittagen Jungen aus der Nachbarschaft in seinem Atelier ein und begannen „alle möglichen wilden Sachen“ zu zeichnen.[2] Der angehende Künstler beschäftigte sich zunächst aus reiner Neugier mit diesen Kritzeleien. Später war er jedoch fest davon überzeugt, dass sie Gesetzen der Form folgten, die nicht an Zeit und Raum gebunden waren und die eine Manifestation des emotionalen und spirituellen Zustandes der Kinder darstellten. Er erinnerte sich:    

 

„Die ‚Jugendkunst‘, wie sie heute genannt wird, existierte zu dieser Zeit nicht. Frei zeichnende Kinder wurden nicht toleriert, sie wurden sogar bestraft. Diese Zeichnungen wurden als ein Fluch der Hausfrau angesehen; Väter und Lehrer sahen in der Anwendung von Stahlwolle das am besten geeignete Mittel, um mit diesem Unfug aufzuräumen. Deswegen dachten viele Leute (vor allem Lehrer), dass ich verrückt sei, diese Zeichnungen so ernst zu nehmen.“[3]

 

Seit seiner Wiederentdeckung durch die bahnbrechende Retrospektive im Wien Museum 1985 ist Čižek als herausragender innovativer Pädagoge in die Annalen der Wiener Kunst- und Kulturgeschichte eingeschrieben.

Franz Čižek Jugendkunstklassen, Klassenzimmer, Kunstgewerbeschule Wien. Nachlass Čižek, Archivbox 9, Wienbibliothek im Rathaus.

 

In seinen berühmten Jugendkunstklassen (Abb. 2), die ab 1904 im Rahmen der österreichischen Kunstgewerbeschule stattfanden, wandte sich Čižek von konventionellen, technische Fertigkeit und Genauigkeit bevorzugenden Methoden des Kunstunterrichts ab. Stattdessen ermutigte der Pädagoge seine Schüler*innen, ihr Inneres durch frei gewählte kunsthandwerkliche Mittel auszudrücken, basierend auf seiner Überzeugung, dass jedes Kind einen angeborenen kreativen Drang besaß, den es nur freizusetzen galt. Ein zentraler Aspekt seiner Pädagogik war es, dass Kinder von den Konventionen der Erwachsenen-Kunst und dem verfälschenden Einfluss von Büchern, Magazinen und Museen abgeschirmt werden sollten. Die Kinder in Čižeks Klassenzimmer (Abb. 2) sollten sich selbst erziehen, unbeeinflusst von ihrem Lehrer. Das Ziel der Jugendkunstklasse war es, die Kreativität der Kinder auf breiter Basis zu fördern, ohne diese in die Richtung einer spezifisch beruflichen Verwertbarkeit zu leiten. Sie war unter den Förderern von Klimt und der Wiener Werkstätte, die die „Kunst für das Kind“-Bewegung der Sezession unterstützten, sehr beliebt. Čižeks Handbuch über Papierarbeiten inspirierte nicht nur Pädagog*innen, sondern beeinflusste auch direkt die zeitgenössische Gestaltung und Kunst, beispielsweise die kindliche Ästhetik des frühen Expressionismus, wie ich in meiner 2020 erschienenen Monographie The Female Secession ausführlich dargelegt habe.

 

Und doch gibt es noch weitere Aspekte von Čižeks Vermächtnis, die wiederzuentdecken wären. Čižeks Nachlass (in der Wienbibliothek im Rathaus) besteht zu einem großen Teil aus Dokumenten in Verbindung mit seinem unvollendeten, englischsprachigen Manuskript für die Yale University Press. Seine Fertigstellung hätte dem Pädagogen in der englischsprachigen Welt noch einmal deutlich mehr Berühmtheit verschafft. Die umfassende Korrespondenz zwischen Čižek, seinem US-amerikanischen Verlag und seinen Lektor*innen zeigt, dass das Projekt weit mehr als ein Wunschtraum war; vielmehr war es bereits in Auftrag gegeben und unter Vertrag (Abb. 3).

 

Unterzeichneter Vertrag mit der Yale University Press, 1. Juli 1930. Nachlass Čižek, Archivbox 3.1.2, Unterlagen der Yale University Press. Nachlass Čižek, Wienbibliothek im Rathaus.

 Unerwartete Schwierigkeiten führten jedoch dazu, dass das Manuskript nie veröffentlicht wurde, und das trotz der Anstrengungen, die nach dem Tod des Pädagogen im Jahr 1946 unternommen wurden.

 

Čižeks US-amerikanisches Buchprojekt war ursprünglich als Bilderalbum der signifikantesten Arbeiten der Jugendkunstklasse geplant. Die Nachfrage von US-amerikanischen Kunstpädagog*innen nach einem theoretisch maßgebenden Buch über das natürliche Wachstum der kindlichen Kreativität und die zeitlosen Gesetze visueller Kreativität war aber so groß, dass das Buchprojekt komplett neu konzipiert und das zuvor gesammelte Material verworfen wurde. Doch der kostspielige Druck der Abbildungen in Kombination mit der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre machten das Projekt finanziell untragbar. Die Vertragsbedingungen verpflichteten den Autor, den Druck der Abbildungen und die aufwendige Vorbereitung der Lithografie-Druckplatten zu bezuschussen, was er sowohl durch private Mittel als auch durch Spenden zu finanzieren suchte. Er wurde dabei unter anderem von der International Society of Friends großzügig unterstützt, einer Wohltätigkeitsorganisation, die Kommunikation durch Drucke förderte. Doch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise – der Wegfall privater finanzieller Förderungen, Čižeks Pensionierung im Jahr 1934, durch die sein Einkommen um zwei Fünftel zurückging, der fallende Wert des Schillings – verunmöglichten die Fertigstellung des Projekts. Schließlich waren es die englischen Übersetzungen seiner pädagogischen Handbücher und die Schriften seiner Anhänger*innen, durch die sich Čižeks Bekanntheit im angloamerikanischen Raum festigte.

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Emmy Zweybrück, Čižeks leicht jüngerer Gegenpart, ist oft – zu Unrecht – als im Schatten berühmterer männlicher Kollegen wie Čižek oder Hoffmann stehend verstanden worden. Mit Čižek teilte sie die Betonung auf den Ausdruck von Gefühlen, Gedanken und Emotionen durch die freie Wahl kunsthandwerklicher Mittel und liberale Lehrmethoden. Wie der Schriftsteller Georg von Terramare treffend über die Philosophie ihrer Schule schrieb, „erzeugen Kinder frei und aus sich selbst heraus und sollten ihren Gedanken und Gefühlen einen persönlichen Ausdruck verleihen. Sie sollten mit einer Vielfalt an Medien […] alles, was sie erfahren und sehen, erfassen können.“[4] Zweybrück betonte ebenfalls die Nachteile traditioneller Lehrmethoden gegenüber dem direkten experimentellen Umgang von Schüler*innen mit Materialien, der dem klassischen Vorentwurf auf Papier vorangehen sollte. In dem 1946 erschienenen, von der American Crayon Company verlegten DIY-Bestseller Hands at Work schreibt sie: „Jede Person, die mit Farbe arbeitet, sollte mit den eigenen Materialien experimentieren, so wie ein Violinist seinen Bogen verwendet.“[5] Wie Čižek, der dem naturalistischen Abzeichnen Geringschätzung entgegenbrachte und seine Schüler*innen dazu ermutigte, aus ihrem Gedächtnis zu zeichnen, betonte Zweybrück, dass angewandte Gestaltung mehr sei als „eine einfache Kopie der Natur". Vielmehr sollte der Fokus darauf gelegt werden, den Rhythmus oder das Gefühl eines Objekts auf eine stilisierte oder abstrahierte Art und Weise darzustellen, statt es direkt wiederzugeben.[6] Sowohl Kinder als auch erwachsene Amateur*innen sollten, wenn sie die Welt um sich herum dekorieren, Inspiration in den „primitiven“ – und gleichzeitig modernistischen – visuellen Eigenschaften der Volkskunst suchen. Wie sie den Leser*innen ihres 1935 erschienenen Buchs The Stencil Book mitteilt, „sollte unsere Gestaltung, wie in bäuerlichen Motiven, von allen Nebensächlichkeiten befreite Objekte repräsentieren, in […] einer vereinfachten Version.“[7]

 

Zweybrücks lebenslange Beschäftigung mit der Volkskunst – eine der wichtigsten Inspirationsquellen für ihren eigenen Unterricht – zeigt eine weitere Überschneidung mit, und gleichzeitig Unterscheidung von Čižek: Die positive Verbindung der Kunst von Kindern mit der Kunst sogenannter „primitiver Völker“ aus Stammeskulturen, sowie die Betonung des Potentials beider Kategorien für die Erneuerung der zeitgenössischen Kunst und Gestaltung. Während Čižek seine Karriere als Maler zugunsten des Unterrichtens zurückstellte, ließ sich Zweybrück in ihrer erfolgreichen Beschäftigung mit industrieller und angewandter Gestaltung von ihrer Beschäftigung mit Volkskunst anregen, die sie sammelte und in ihrer Schule ausstellte. Zweybrück gab bereitwillig zu, dass ihre anfängliche Faszination mit der europäischen Volkskunst (unter anderem Spielzeuge, bemalte Möbel und religiöse Objekte) ihr den Weg zu einem freieren, von Objekten amerikanischer Ureinwohner*innen und Objekten aus Mexiko beeinflussten Stil eröffnete, nachdem Sie in die USA emigriert war. Dadurch, dass Zweybrück ihre Wertschätzung „primitiver“ Kunst auf die Kunst nicht-ausgebildeter Amateur*innen ausweitete, waren ihre Ansichten zum Primitivismus komplizierter als die von Čižek, der das Thema Amateurkunst nie zur Sprache brachte. In ihren Büchern wies Zweybrück dem Mangel an formaler Kunstausbildung bei erwachsenen Hobby-Künstler*innen einen hohen Wert zu und forderte von diesen, sich ihre Unverdorbenheit ähnlich zunutze zu machen, wie es angeblich Volkskünstler*innen mit ihrer „Einfachheit und Naivität“ getan hätten.[8] Ihr Ratschlag lautete: „Menschen ohne künstlerische Erziehung sollten nicht vor dem Zeichnen zurückschrecken. Meistens ist ihre Motivik sogar stärker und besitzt mehr Charme, weil sie nicht versuchen, die Natur zu imitieren.“[9] Anders als Čižek, dessen Erfahrung mit älteren Schüler*innen auf die Teilnehmer*innen im Gymnasial-Alter begrenzt war, die er im Rahmen seines Kurses für Ornamentale Formenlehre unterrichtete, konzentrierte sich Zweybrück im Verlauf ihrer Karriere zu einem großen Teil auf das Unterrichten erwachsener Amateurinnen, was zu einer unterschiedlichen Ausrichtung ihres Instituts führte. Während Čižek sowohl männliche als auch weibliche Schüler*innen zwischen 4 und 14 Jahren unterrichtete, stand Zweybrücks Schule nur Mädchen offen und bestand aus verschiedenen Bereichen: 1.) Kürzere Kurse für sehr junge Kinder, 2.) Ein Bereich für Schülerinnen im Gymnasial-Alter, die keinen künstlerischen Beruf ergreifen wollten und 3.) Ein Bereich für Schülerinnen im Gymnasial-Alter, die sich mit der professionellen kunsthandwerklichen Ausbildung auf die Prüfungen eines Fachverbandes vorbereiten wollten. Der letzte Bereich verdeutlicht, dass Zweybrück die berufsbezogene Ausbildung nie so umfassend zurückwies wie Čižek, und ihre Schule „die grundlegende humanistische Erziehung von Schülern“ durchaus mit beruflichen Zielen verband.[10] Terramare beobachte, wie ein Teil der „künstlerisch besonders talentierten“ Schülerinnen für die auf Stickerei, Stoffmuster, Spielzeug und Innenausstattung spezialisierten Werkstätten von Zweybrück rekrutiert wurden; dort fanden die Schülerinnen durch Aufträge, Wettbewerbe und die halbjährlichen Schul-Ausstellungen „Ansporn und Anregung“. Diese Praxis, Schule und Werkstätte zu verbinden, indem erfolgreiche Absolvent*innen für die Werkstätten gestalteten oder in der Schule unterrichteten, ist vergleichbar mit den engen institutionellen Verbindungen, die die Sezession, die Wiener Werkstätte und die Kunstgewerbeschule miteinander pflegten; letztere wurde von Moser und Hoffman als Talentschmiede für die Wiener Werkstätte genutzt. Und doch unterscheiden sich diese und Zweybrücks Werkstätte dadurch, dass letztere eine distinkte Art weiblichen Unternehmertums repräsentierte: Sie wurde von Frauen geleitet, beschäftigte weibliche Absolventinnen und praktizierte eine matrilineare Form der Weitergabe künstlerischen Wissens.

 

Der Spielzeugschrank, illustriert von Emmy Zweybrück, Text von Edwin Redslob. Verlag Otto Beyer, Leipzig, 1934.

Ähnlich wie für viele der auf diesem Blog vorgestellten Künstler*innen, war die Illustration von Kinderbüchern auch für österreichisch-amerikanische Emigrant*innen wie Zweybrück ein bedeutendes Spezialgebiet, das im Exil oft eine wichtige Einkommensquelle darstellte. Der Höhepunkt von Zweybrücks Beschäftigung mit der Illustration von Kinderbüchern liegt aber wohl vor ihrer Emigration, in der Illustration des Bilderbuches Der Spielzeugschrank (Abb. 4). Dieses Projekt, das sie in Zusammenarbeit mit dem deutschen Kunsthistoriker und Kritiker Edwin Redslob realisierte, korrespondierte mit der lebenslangen Faszination der Künstlerin für volkstümliches Spielzeug. In dem Buch werden neuartige Dichtung mit farbigen Holzschnittdrucken (ein weiteres Spezialgebiet von Kunstschülerinnen der Wiener Sezession) in einem elektrischen Gelb, Pink und Blau kombiniert, ähnlich wie auf dem Buchcover, das ein einfach gebautes Spielzeugpferd mit einer Kutsche zeigt.

 

Trotz des Ansehens, das Zweybrück zu Lebzeiten genoss, hat ihre Bekanntheit im Vergleich zu der Čižeks über die Zeit deutlich abgenommen. Vielleicht liegt es an der Schwierigkeit, das Vermächtnis einer Künstlerin zu historisieren, deren Arbeit als Lehrerin für Kinder und Amateur*innen schwer greifbar ist. Vielleicht liegt es daran, dass ihr Vermächtnis eingebunden bleibt in die geschlechtsspezifischen Hierarchien von Medien, Material und Technik, die weiterhin die konventionellen kunstgeschichtlichen Narrative prägen. Vielleicht fällt es „seriösen“ Kunsthistoriker*innen immer noch schwer, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass Kinderbücher wie Der Spielzeugschrank eng mit avantgardistischen Entwicklungen verknüpft sein können. Mit Diskussionen, Podcasts und Blogposts will Creativity from Vienna to the World dazu beitragen, dass diese Hierarchien kritisch beleuchtet und der Transfer weiblicher künstlerischer Praktiken, Medien und Wissensmodi zwischen Zentraleuropa und den USA aufgewertet werden.


Aus dem Englischen übersetzt von Christopher Hertweck

 

 


[1] Čižek, Curriculum Vitae, Čižek Nachlass Archivbox 6.3.1, Wienbibliothek im Rathaus, 16.

[2] Čižek, Curriculum Vitae, Čižek Nachlass Archivbox 6.3.1, Wienbibliothek im Rathaus, 3.

[3] Čižek, Curriculum Vitae, Čižek Nachlass Archivbox 6.3.1, Wienbibliothek im Rathaus, 3.

[4] Georg von Terramare, Schule und Werkstätte: Emmy Zweybrück Wien , Verlag Werkstätte E. Zweybrück, Wien, 1918, 12.

[5] Emmy Zweybrück Hands at Work , Prang/American Crayon Company, Sandusky, Ohio, 1946, 43. Anm. d. Übers.: Das Zitat im englischen Original lautet „Everybody who works with color should experiment with his materials like a violinist uses his bow.“

[6] Ebd., 4. Anm. d. Übers.: Das Zitat im englischen Original lautet „not simply a copy of nature.“

[7] Zweybrück-Prochaska, The Stencil Book: The Modern Art Methods of Professor Emmy Zweybrück , American Crayon Company, New York, 1953, 3. Anm. d. Übers.: Das Zitat im englischen Original lautet „[l]ike those peasant motifs, our designs should represent the objects stripped of all accessory details, in…a simplified manner.“

[8] Zweybrück, Hands at Work, 26.Anm. d. Übers.: Das Zitat im englischen Original lautet „simplicity and naïveté”.

[9] Ebd. Anm. d. Übers.: Das Zitat im englischen Original lautet „[p]eople who are without art training should not be afraid of drawing because most of the time their motifs are even stronger and have more charm because they do not try to imitate nature.”

[10] Terramare, Schule, 14.

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