Ladislav Jackson

Im Jahr 1934 veröffentlichte die bekannte Architektin Liane Zimbler einen Artikel in der 45. Ausgabe der Zeitschrift Innendekoration, der von der Modernisierung eines Schlafzimmers in einer prominenten bürgerlichen Wohnung in Wien handelte. Auf den ersten Blick mag diese Modernisierung wie das schicke Inneneinrichtungs-Projekt eines Auftraggebers aus der Wiener Oberschicht erscheinen, für den Geld keine Rolle spielte. Dieses Verlangen nach einer modischen Inneneinrichtung, bis hin zum eigenen Morgenmantel handverlesen und gestaltet, war Gegenstand des Spotts in dem Essay „Von einem armen reichen Manne“ von Adolf Loos, in dem der Auftraggeber von einem Architekten verlangt: „Bringen sie mir Kunst, die Kunst in meine vier Pfähle. Kosten Nebensache.“[1] Die Idee eines Gesamtkunstwerks, vertreten von Otto Wagner und dessen Schülern (wie beispielsweise Josef Hoffmann), wurde von Loos mehrfach kritisiert. Aus diesem Grund waren Loos‘ Einrichtungsentwürfe eher eklektisch zusammengesetzt; auch stand der Komfort bei ihm an einer höheren Stelle als die Ästhetik und ein „ganzheitlicher Stil“.

01 Liane Zimbler, Modernisierung eines Schlafzimmers in einer Wohnung in Wien, Zustand vor dem Umbau, 1910, Nachdruck aus Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, Innendekoration, 1934, Ausg. 45, S. 302.
02 Liane Zimbler, Modernisierung eines Schlafzimmers in einer Wohnung in Wien, Zustand nach dem Umbau, 1910, Nachdruck aus Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, Innendekoration, 1934, Ausg. 45, S. 302.

War die Modernisierung eines im Jahr 1910 eingerichteten – also zu dem Zeitpunkt seiner Umgestaltung nur 23 Jahre alten – Schlafzimmers mit einem kostspieligen, sehr detailliert und modisch gestalteten Mobiliar aus dem Jahr 1910 nur ein Produkt selbstgefälliger Eitelkeit, dazu da, den sozialen Status des Auftraggebers zu unterstreichen? Oder stellte sie tatsächlich eine Notwendigkeit dar, um das Leben der Bewohner*innen einfacher und moderner zu gestalten? Und ist Zimblers Projekt ein Ausdruck der Originalität ihrer Denkweise?

 

 

03 Liane Zimbler, Modernisierung eines Schlafzimmers in einer Wohnung in Wien, Grundriss des alten Zustandes, 1910, Nachdruck aus Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, Innendekoration, 1934, Ausg. 45, S. 302.
04 Liane Zimbler, Modernisierung eines Schlafzimmers in einer Wohnung in Wien, Grundriss des neuen Zustandes, 1910, Nachdruck aus Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, Innendekoration, 1934, Ausg. 45, S. 302.

Liane Zimbler war eine außergewöhnliche Frau. Sie wurde unter dem Namen Juliane Angela Fischer am 31. Mai 1892 in einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Přerov im heutigen Tschechien geboren. Sie besuchte die Realschule in Wien und anschließend, mit dem Status einer „außerordentlichen“ Schülerin, die von 1909 bis 1934 von Alfred Roller geleitete Wiener Kunstgewerbeschule. Seit Rollers Vorgänger Felicien von Myrbach war das Programm der Kunstgewerbeschule stark von den Mitgliedern der Wiener Sezession beeinflusst: Josef Hoffmann, Koloman Moser und Oskar Kokoschka.[2] 

Im Jahr 1908 begann Franz Čižek an der Kunstgewerbeschule zu unterrichten; in den folgenden zwei Jahrzehnten trat dort eine jüngere Generation von Architekt*innen deutlicher in Erscheinung, unter ihnen Josef Frank und Oskar Strnad. Zimblers Biograph*innen sind sich nicht sicher, ob sie direkt Unterricht von Josef Hoffman erhielt. Sie kannte ihn aber entweder aus der Kunstgewerbeschule oder aus deren näherem Umfeld.[3] Die beiden lernten sich gut kennen, als Zimbler in den 1920er Jahren für die Wiener Werkstätte zu arbeiten begann und 1925 für diese ein Mode-Atelier in Prag gründete.[4] Zimbler wurde durch Hoffmans Konzept einer ganzheitlichen Inneneinrichtung klar beeinflusst.[5] 

However, she also adopted some of the principles represented by Frank and Strnad. Even though she had to obtain exceptional student status, Franz Čižek’s openness to bring up women to the field of architecture must also have been significant for Zimbler’s decision to remain in the male-dominated environment and pursue the career of an architect. Zimbler’s attandence between 1912‒1916 must have been a role model for the next generation of women who were admitted to the school, such as Margarette Schütte-Lihotzky, who started studying there in 1915, or Erika Giovanna Klien, who started in 1919.

Liane Zimblers erster maßgeblicher Auftrag war die Modernisierung einer älteren Baustruktur. Sie sollte ein von dem Architekten Heinrich von Ferstel 1879 entworfenes Gebäude für die Nutzung durch einen neuen Besitzer umwandeln: Die Veränderungen, die Zimbler in den nächsten zwei Jahren vornahm, waren subtil, und doch stellten sie eine Umwandlung des Gebäudes in einen multifunktionalen, modernen Palast dar. Zunächst nahm Zimbler die Umwandlung des Dachbodens in drei Wohnungen vor und zog dort zusätzlich eine neue Etage für einen Dachgarten mit Brunnen ein. Dann überdachte sie den Hof mit einem Glasdach und wandelte schließlich eine ehemalige Wohnung im Mezzanin in drei kleinere Wohneinheiten um. Liane Zimbler bewies mit diesem Umbau nicht nur ihre besondere Fähigkeit, den ursprünglichen Charakter des Gebäudes zu bewahren, sie schaffte es auch, dessen Funktionalität mit kleinstmöglichem Aufwand an zeitgenössische Bedürfnisse anzupassen.

Diese Fähigkeit wurde für Zimblers Arbeit als Innenarchitektin in den 1930er Jahren sehr wertvoll. Der Auftrag zur Modernisierung des Schlafzimmers war ganz klar kein Projekt, in dem es nur um Prestige oder modische Aktualität ging. Die Umfunktionierung war dem Auftrag selbst eingeschrieben: Das Schlafzimmer „war […] mittlerweile zum Hauptaufenthaltsraum der Frau des Hauses geworden, da der ehemalige Salon zum Kinderzimmer umfunktioniert worden war. Für diese Mehrfachnutzung war der Raum nicht praktisch genug eingerichtet. Eine Besonderheit stellt hier die Weiterverwendung und Umnutzung bereits vorhandener Möbel dar.“[6] 

Was hier zum Vorschein kommt, ist ein Leitmotiv der Schlafzimmergestaltung im 20. Jahrhundert. Liane Zimbler musste einen Umgang damit finden, dass ein Schlafzimmer Raum für mehr als eine Funktion/Aktivität bieten sollte: Das Wohnschlafzimmer war geboren. Sie lehnte es ab, die Richtung der „erlesenen Innenausstattung“ einzuschlagen, für die die Wagnerschule und insbesondere Josef Hoffmann standen, und führte stattdessen Praktiken wie die Weiterverwendung und Umnutzung – heute auch bekannt als Upcycling und Recycling – in die Wiener Moderne ein: „Die Möbel sind von guter Qualität, so dass es nicht nötig ist, sie durch Neuanschaffungen zu ersetzen. Das Holz wird abgezogen, frisch gebeizt und poliert. Schmuckelemente an den Möbeln verschwinden. An die dem Fenster gegenüberliegende Wand werden die beiden vorhandenen Schränke gestellt und mit einer neuen Einteilung und Erhöhung bis zur Decke versehen. Preiswerte Ergänzungen aus Fichtenholz werden vor eine nicht benutzte Tapetentür gestellt, davor über die gesamte Breite des Zimmers ein heller Seidenvorhang gezogen, der farblich auf die Wände abgestimmt ist.“[7] 

Zimbler kommentierte in ihrer kurzen Beschreibung im Magazin Innendekoration lapidar, der bisherige Zustand des Schlafzimmers sei „[ä]sthetisch unbefriedigend, zu wenig Schrankraum, zu viel Türen, kein bequemes Sitzplätzchen! Die gute Qualität der Holzarbeit legte eine Umarbeitung der Möbel nahe.“[8] 

The original room was set up by a monstrous symmetrical compound including a double bed, bed stands and two massive wardrobes. There was a small sitting area in front of the bed’s headboard. There was a toilet stand between the windows and a small sofa behind the entrance door. There were two other entrance doors to the room in the side wall. Zimbler decided to blind the two side doors when she placed a built-in closet all across the side wall: one door was totally blinded and the other door lead through one segment of the closet. She moved the bed closer to the closet wall which made more space in the window area. Next to the bed she placed a large toilet stand with a chair, she moved the sitting area to the “window corner area” where the sofa remained. The sofa had two purposes now: as a sitting sofa and as a temporary and/or a day bed.

Das Upcycling der Möbel bestand nicht nur aus dem Entfernen der dekorativen Elemente. Zimbler entschied sich auch dafür, ihren Farbton zu ändern. Sie schrieb dazu: „Das unansehnlich gewordene Eschenholz wurde abgezogen und in warmem Kirschton gebeizt und poliert.“ Obwohl sie die Tapete mit ihrem ornamentalen Blumenmuster und die schweren Vorhänge entfernte, um den Raum weitläufiger zu machen, ging sie nicht so weit wie viele internationale Modernist*innen und deren reduktionistische Doktrin.

To some extent she was at the same time aware of the comfort qualities, promoted by Loos, and the furniture took on an eclectic touch: she added a floral, low, thick padded armchair, typical for Loos’s late interiors. The window corner area became a separate zone for dayusage. Floral ornaments from the armchair were repeated on a large pillow on the sofa and on a lamp shade, all the furniture was placed on a big oriental rug with ornamental pattern that was originally in the center of the room. The upcycling element of Zimbler’s design was not limited just to furniture, but also glass particles. “The narrow mirror was taken from the side of the old dressing table, and the small frame for the perfume bottles was made from the lower part of the pharmacy attachment.”[9]

Es gelang Zimbler nicht nur, vier verschiedene Funktionen des Raumes – anstelle der bisherigen zwei – organisch miteinander zu kombinieren, sondern auch, diese visuell voneinander abzugrenzen (zurückhaltende Gestaltung des Schlafbereichs und des Stauraumes, komfortable Gestaltung des Frisier- und Ankleidebereichs sowie der Fensterecke für die Nutzung tagsüber).       

As Christina Gräwe suggests in her on-line published biography of Zimbler, Liane Zimbler continued to modernize, renovate, reconstruct and remodel older interiors throughout the entire 1930s. She was able to subtly create new functional spaces, such as corners and zones, out of no longer functional rooms, such as entrance halls of bourgeois pre-war apartments. In 1932, she turned a long, narrow hallway in a Viennese apartment into an extended living space. Zimbler didn’t need massive separation panels or pieces of furniture, she created smaller “areas”, functional zones with usage of minimal furnishing: sophisticated placing of a rug, hanging a curtain, designing a subtle dresser or just simply changing the visual style of a new zone, as she did in the Viennese bedroom.

 

05 Liane Zimbler, Modernisierung eines Schlafzimmers in einer Wohnung in Wien, Fenster-Ecke, nach dem Umbau, 1910, Nachdruck aus Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, Innendekoration, 1934, Ausg. 45, S. 302.

Als Frau nahm Zimbler andere Frauen im häuslichen Bereich als Subjekte war, nicht nur als „dekorative“ Objekte, wie es die meisten ihrer männlichen Kollegen taten. Sie wusste, was es hieß, sich im Alltag in einem Haus zu bewegen und das nicht nur auf den repräsentativen und feierlichen „Wegen“, wie sie in Franks und Loos‘ Wohnungen vorkamen. Sie verstand, was es bedeutete, wenn der Salon einer Frau zu einem Kinderzimmer wurde. Es ging nicht nur um die Gestaltung des Kinderzimmers, sondern auch um die Notwendigkeit eines neuen „Zimmers für sich allein“ für die Mutter im häuslichen Bereich, sowohl materiell als auch symbolisch.


Liane Zimbler’s Viennese designs were not experimental in the way the entire domestic space and it’s volume and movement is organized, as suggested by Christopher Long when he discussed the specific inventions of Viennese modernists such as Loos, Frank and Strnad in his book The New Space, where neither Zimbler nor Klien are mentioned at all, Schütte-Lihotzky once, only as a witness of Strnad’s accomplishments[10]. Zimbler’s legacy is different, she tried to reorganize the domestic interior according to modernist values with as little means, products and waste, as necessary. Zimbler took these approaches and methods with her when she emigrated to the United States following Nazi annexation of Austria on March 13, 1938. 


Ich denke, dass die geschichtliche Bedeutung dieser eher subtilen Neuerungen der in die USA ausgewanderten Wiener Modernist*innen stärker in den Blick genommen werden sollten, gerade bei der Betrachtung des kalifornischen Mid-Century Modern und der damit verknüpften Prinzipien, Ästhetiken und Materialität. Von Zimbler ließe sich aber auch im 21. Jahrhundert – einer Zeit also, in der die Auswirkungen der Klimakatastrophe deutlicher und deutlicher zutage treten – mehr lernen als von all ihren männlichen Wiener Kollegen zusammen. Schön anzusehende Vorher-Nachher-Bilder in Lifestylemagazinen sollten zukünftig nicht nur dahingehend betrachtet werden, wie viel Licht für den Wohnraum dazugewonnen oder wie viel altes Zeug ausgemistet wurde; es sollte auch miteinbezogen werden, wie die CO2-Bilanz des Projektes aussieht, wieviel des ursprünglichen Materials wiederverwendet wurde und wieviel neu produziert werden musste, um dieses Ergebnis zu erzielen.

Aus dem Englischen übersetzt von Christopher Hertweck


[1] Vgl. Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, Wien, München, 1962, S. 201–207. Online abrufbar unter: https://de.wikisource.org/wiki/Von_einem_armen_reichen_Manne. Zuerst erschienen unter dem Titel „vom armen reichen mann“ im „Neuen Wiener Tagblatt“, 34. Jahrgang, 26. April 1900, S.1. https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=nwg&datum=19000426&zoom=33

[2]Vgl. dazu das Kapitel „Die Einfallenden“ – Josef Hoffmann und die Kunstgewerbeschule in Iris Meders Dissertation Offene Welten: Die Wiener Schule im Einfamilienhausbau 1910‒1938, Institut für Kunstgeschichte der Universität Stuttgart, 2004, S. 34 – 41.

[3]Vgl. Christina Gräwe und Thomas Spier, Liane Zimbler, http://www.liane-zimbler.de/text/kapitel_2_1_1/frameset_text.htm, in der diese auf einen 1973 von Zimbler verfassten Lebenslauf verweisen.

[4] Vgl. Miroslav Ambroz, Aleš Filip, Rainald Franz et al., Vídeňská secese a moderna (1900—1925), Brno, 2005, S. 155.

[5] Wie Gräve anmerkt: „An Zimblers späterer Büroorganisation und realisierten Entwürfen lässt sich ein Einfluss ablesen, der dem von ihm [d.h. Hoffman] vermittelten Überzeugungen entsprochen haben könnte.” Vgl. Christiane Gräwe, Thomas Spier, Liane Zimbler, http://www.liane-zimbler.de/text/kapitel_2_1_1/frameset_text.htm

[6] Vgl. Christina Gräwe und Thomas Spier, Liane Zimbler, http://www.liane-zimbler.de/ text/kapitel_2_2_3/frameset_text.htm

[7] Vgl. Christina Gräwe und Thomas Spier, Liane Zimbler, http://www.liane-zimbler.de/ text/kapitel_2_2_3/frameset_text.htm

[8] Vgl. Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, in: Innendekoration, Ausg. 45, 1934, S. 302 – 303, Zitat auf S. 302.

[9] Vgl. Liane Zimbler, »Elegantes Schlafzimmer« von 1910 ‒ Modernisiert, in: Innendekoration, Ausg. 45, 1934, S. 302 – 303, Zitat auf S. 302.

[10] Vgl. Christopher Long, The New Space: Movement and Experience in Viennese Modern Architecture, New Haven, 2016.

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